Zum Jubiläum feierte Bischof Schlembach von Speyer ein Pontifikalamt
Die Predigt von Bischof Anton Schlembach beim Pontifikalamt am 30. Juni 2006 im Wortlaut:
Liebe Mitchristen,
Schwestern und Brüder im Glauben an Jesus Christus, der in der heiligen Eucharistie bei uns ist!
Jesus sagt im Evangelium, das wir soeben gehört haben: Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist.
Er erinnert an das Manna, mit dem Gott sein Volk nach dem Auszug aus Ägypten in der
Wüste gespeist hatte. Jetzt, so sagt Jesus, gibt euch Gott ein neues Manna. Es kommt auch vom Himmel. Dieses Manna bin ich.
Wer von diesem Manna isst, wird in Ewigkeit leben. Ein unerhörtes Wort, ein unerhörter Selbstanspruch.
Beim letzten Abendmahl hat Jesus dieses Wort wahr gemacht. Er reicht den Aposteln das Brot und sagt: Das ist nicht Brot. Das bin
ich. Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Er reicht den Aposteln den Kelch und sagt: Das ist nicht Wein. Das ist mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird. Tut dies zu meinem Gedächtnis.
Die Lesung aus der Apostelgeschichte zeigt, dass die Jünger Jesu, die Christen, von Anfang an den Auftrag des letzten Abendmahls
ausgeführt haben. Es heißt: "Die Gläubigen, die an Pfingsten den Heiligen Geist empfangen hatten, hielten fest an der Lehre der Apostel, an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten."
"Brechen des Brotes" - das ist der erste Ausdruck für das, was bald Eucharistiefeier genannt wurde. Von Anfang an war "das
Brechen des Brotes", die Feier des Abendmahls, des Herrenmahls, die Eucharistiefeier, ein wesentliches Merkmal, ein Kennzeichen
des christlichen Lebens und jeder christlichen Gemeinde. Die Feier der Eucharistie hat eine reiche eucharistische Kultur
hervorgebracht. Kirchen wurden gebaut: kleine Kapellen und große Kathedralen. Eucharistische Lieder sind entstanden. Eucharistische Prozessionen wurden eingeführt.
Eine Frucht der Eucharistiefeier ist die eucharistische Anbetung. Die Anbetung des eucharistischen Christus außerhalb der
Eucharistiefeier. Sie bleibt auf die Eucharistiefeier bezogen, ist gleichsam ihr Nachklang, aber zugleich auch innere Bereitung für eine
immer tiefere Mitfeier der Eucharistie. Die eucharistische Anbetung ist der intensivste Ausdruck des christlichen Eucharistieglaubens.
Ein Ort der immer währenden eucharistischen Anbetung wie hier der Odilienberg seit 75 Jahren ist ein Ort der intensivsten
Christusgegenwart und Christusbegegnung, ein Ort eines unübersehbaren Christuszeugnisses und des Segens. Ein einzigartiger
Gnadenort. Denken wir ein wenig über die eucharistische Anbetung nach. Zunächst über die Anbetung ganz allgemein.
Anbeten - das ist für die meisten etwas Ungewöhnliches, etwas Außergewöhnliches. Etwas für besonders fromme Menschen. Dem ist
aber nicht so. Anbeten ist etwas, worauf der Mensch von Natur aus angelegt ist. Etwas, das zum rechten Menschsein gehört. Wie der
Mensch von Natur aus darauf angelegt ist zu essen, zu atmen, zu gehen, zu sprechen, zu denken, zu lernen, so hat er eine
Naturanlage zur Anbetung. Zur Anbetung Gottes. Ein Mensch, der nicht anbetet, ist deshalb nicht voll entwickelt. Er bleibt
unterentwickelt, lässt seine höchste Veranlagung, seine höchste Lebensmöglichkeit unbenützt. Er kommt nicht zu seiner eigentlichen Selbstverwirklichung.
Der große Philosoph und Theologe Romano Guardini schreibt: "Anbetung ist gut. In der Anbetung wird die Würde des Menschen
begründet. Wenn der Mensch sich vor Gott neigt, ist er recht und frei.
Der Akt der Anbetung hat etwas unendlich Echtes, Wohltuendes, Aufbauendes in sich. Er hat etwas, was gesund macht... In der
Anbetung erneuert sich das Herz, reinigt sich der Geist, klärt sich der Blick, wird der Charakter verpflichtet. Es gibt nichts
Wichtigeres für den Menschen, als dass er lernt und übt, sich mit dem inneren Sein vor Gott zu neigen - anzubeten." (Der Herr, S.
593 ff.) Man muss essen. Aber essen darf man nur das, was gesund ist, sonst wird man krank und stirbt. - Man muss sprechen. Aber
sprechen darf man nur das, was wahr ist, sonst wird man zum Lügner und verdirbt geistig.
So muss man anbeten. Aber man darf nur Gott anbeten. Wer das Geld anbetet oder die Wissenschaft oder den Fußball oder einen
Menschen, der pervertiert die Anbetung. Und die Perversion der Anbetung ist die schlimmste Form der Perversion des Menschen.
Die Selbstzerstörung des Menschen. Wahre Anbetung ist nur die Anbetung Gottes. Gott hat sich jedoch in Jesus, dem Kind Marias,
zum Menschen, zu unserem Mitmenschen gemacht. Jesus Christus, der menschgewordene Gottessohn, hat sich seinerseits in der
Eucharistie zu unserem Brot, zu unserer Speise gemacht. Gottesgestalt - Menschengestalt - Brotsgestalt.
Das ist die Selbsterniedrigung, die Selbstentäußerung, die Karriere Gottes nach unten - für uns, zu unserem Heil, zum Heil der Welt.
Daher bekommt die Form der Gottesanbetung bei den Christen die Form der Christusanbetung, und bei den katholischen Christen bekommt die Christusanbetung die Form der eucharistischen Anbetung.
Wie die Eucharistie die höchste Form der Selbsterniedrigung Gottes ist, so ist die eucharistische Anbetung die höchste Form des
Gebetes, des existenziellen Aufstiegs. Der Mensch vollendet sich im Gebet. Das Gebet vollendet sich in der Anbetung. Die Anbetung Gottes vollendet sich in der Anbetung Gottes, der in Jesus Mensch geworden ist.
Und die Anbetung des menschgewordenen Gottessohnes vollendet sich in der Anbetung des eucharistischen Herrn Jesus Christus.
Expertus potest credere quid sit Jesum diligere - heißt es in einem lateinischen Hymnus. Der Experte, der es ausprobiert, geübt und
erfahren hat: er weiß, was es heißt, er weiß, wie gut es ist und wie gut es tut, den eucharistischen Herrn anzubeten. Welche Kraft,
welche Lebens- und Glaubenskraft von der eucharistischen Anbetung ausgeht - dafür gibt es viele Beispiele.
Eines ist der Jesuitenpater Alfred Delp. In Mannheim geboren, wird er nach dem verfehlten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944
verhaftet. Er kommt nach Berlin in Einzelhaft. Am 11. Januar 1945 wird er vor dem Volksgerichtshof von Roland Freisler wegen
angeblichen Hochverrats zum Tod verurteilt. Am 2. Februar, Maria Lichtmess, einem Herz-Jesu-Freitag, wird er durch Erhängung
hingerichtet, 36 Jahre alt. Im Gefängnis kann er immer wieder heimlich mit gefesselten Händen die Heilige Messe feiern. Häufig hält
er stundenlang eucharistische Anbetung. In einem nach außen geschmuggelten Brief schreibt er: "Oft knie oder sitze ich vor meinem
stillen Heiligtum und berede die Dinge, in die ich gestellt bin, mit ihm." In einem anderen Kassiber berichtet er: "Ich habe bei der
Verhandlung und bei der Verkündung des Todesurteils das Sanctissimum (das Allerheiligste) bei mir gehabt und vor der Fahrt zum Urteil zelebriert und als letzte Speise die Speise genossen."
Auf seinem letzten Kassiber vom 30. Januar stehen nur die Worte: "Beten und glauben. Danke." Am 18. Januar, also eine Woche
nach seiner Verurteilung zum Tod, schreibt er in einer Vater-unser-Meditation: "Brot ist wichtig. Freiheit ist wichtiger. Am wichtigsten
aber ist die ungebrochene Treue und die unverratene Anbetung"; also die Anbetung, die auch nicht durch ein Todesurteil und durch
das Sterben ausgelöscht werden kann. Wir wollen auch weiterhin Menschen der eucharistischen Anbetung bleiben. Möge der
Odilienberg auch weiterhin ein beispielhafter, exemplarischer Ort der eucharistischen Anbetung bleiben - ein Ort des Segens für das Elsass, für die ganze Kirche und Welt.
|