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Die Nähe des Herrn im Sakrament

Die wirkliche Gegenwart Christi im eucharistischen Sakrament

Joseph Kardinal Ratzinger, jetzt Papst Benedikt XVI.

Jesus sprach: „Ich bin das Brot des Lebens. Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. Aber wer das Brot isst, das vom Himmel herabkommt, stirbt nicht. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird leben in Ewigkeit. Und das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, für das Leben der Welt. Da stritten die Juden untereinander und sagten: Wie kann er uns sein Fleisch zu essen geben? Jesus sprach zu ihnen: Amen, Amen, ich sage euch, wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag. Denn mein Fleisch ist eine wahre Speise, und mein Blut ist ein wahrer Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich bleibe in ihm. Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und wie ich durch den Vater lebe, so wird auch jeder, der mich isst, durch mich leben. Das ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist; es ist anders als das Brot, das eure Väter gegessen haben, die dennoch gestorben sind. Wer dieses Brot isst, wird leben in Ewigkeit. Diese Worte sprach Jesus, als er in der Synagoge von Kafarnaum lehrte" (Joh 6,48-59).

Der heilige Thomas von Aquin hat in seiner Fronleichnamspredigt das Wort aus dem fünften Buch Mose aufgenommen, in dem sich die Freude Israels über seine Erwählung, über das Geheimnis des Bundes ausspricht. Dieses Wort heißt: „Wo wäre noch einmal eine große Nation, der ihre Götter so nahe sind wie uns unser Gott?" (Dtn 4,7).[1] Man kann spüren, wie bei Thomas eine triumphale Freude darüber aufklingt, dass dieses Wort des Alten Bundes in der Kirche, im neuen Volk Gottes, erst seine volle Größe gefunden hat. Denn wenn in Israel Gott sich durch sein Wort zu Mose herabgebeugt hatte und so seinem Volk nahe geworden war, dann hat er jetzt selbst Fleisch angenommen, ist Mensch unter Menschen geworden und geblieben, so sehr geblieben, dass er sich im Geheimnis des verwandelten Brotes in unsere Hände und in unsere Herzen legt. Aus dieser Freude heraus, dass damit wahrhaft „Volk Gottes" geworden ist, Gott so nahe ist, dass er nicht näher sein könnte, ist im 13. Jahrhundert das Fronleichnamsfest entstanden als ein einziger Hymnus des Dankes ob solchen Geschehens. Aber wir alle wissen, dass, was eigentlich Grund der Freude ist und sein sollte, zugleich Stein des Anstoßes ist, der Punkt der Krise, und dies von Anfang her. Denn in der Lesung aus dem Johannes-Evangelium haben wir gehört, wie schon bei der ersten Ankündigung der Eucharistie die Menschen murrten und sich auflehnten. Dieses Murren geht seither durch die Jahrhunderte hindurch und es hat gerade auch die Kirche unserer Generation tief verwundet. Wir wollen Gott gar nicht so nahe; wir wollen ihn nicht so klein, sich herabbeugend; wir wollen ihn groß und ferne haben. So stehen Fragen auf, die solche Nähe als unmöglich erweisen möchten. Wenn wir in der folgenden Besinnung über ein paar dieser Fragen nachdenken, soll es nicht darum gehen, der Lust am Problem nachzuhängen, sondern darum, das Ja des Glaubens wieder tiefer zu lernen, seine Freude wieder zu empfangen und so auch das Beten, die Eucharistie selbst wieder neu zu erlernen. Es sind hauptsächlich drei Fragen, die sich dem Glauben an die wirkliche Nähe des Herrn entgegenstellen. Die erste: Sagt denn eigentlich die Bibel solches? Legt sie uns derlei auf oder ist dies nicht erst das naive Missverständnis einer späteren Zeit, die das Hohe und Geistige des Christentums ins Kleine und ins Kirchliche heruntertransponiert? Die zweite Frage lautet: Kann denn das eigentlich sein, dass ein Leib sich mitteilt an allen Orten und zu allen Zeiten? Widerspricht dies nicht einfach der Grenze, die dem Leib wesentlich ist? Die dritte Frage heißt: Hat nicht die moderne Naturwissenschaft mit allem, was sie über „Substanz" und über die Materie sagt, die betreffenden Dogmen der Kirche so augenscheinlich überholt, dass wir sie in der Welt der Wissenschaft endgültig zum alten Eisen werfen müssen, sie gar nicht mehr vereinbar mit dem Denken von heute halten können?

Wenden wir uns der ersten Frage zu: Sagt die Bibel solches? Wir wissen, dass im 16. Jahrhundert dieser Streit leidenschaftlich geführt worden ist als Streit um ein Wort, um das „Ist": „Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut." Meint dieses „Ist" wirklich die volle Kraft leiblicher Anwesenheit? Oder weist es nicht doch nur auf ein Sinnbild hin, so dass es auszulegen wäre: „Dies bedeutet meinen Leib und mein Blut"? Inzwischen haben sich die Gelehrten an diesem Wort müde gestritten und begriffen, dass der Disput um ein einziges, aus dem Zusammenhang herausgeschnittenes Wort nur in eine Sackgasse führen kann. Denn so wie in einer Melodie der Ton seine Bedeutung nur vom Gefüge des Ganzen erhält und allein aus ihm heraus zu verstehen ist, so können wir auch Wörter eines Satzes nur verstehen aus dem Sinngefüge des Ganzen, in dem sie ihren Platz haben. Wir müssen nach dem Ganzen fragen. Tun wir dies, so ist die Antwort der Bibel sehr klar. Wir haben ja gerade die dramatischen, an Deutlichkeit nicht zu überbietenden Worte Jesu aus dem Johannes-Evangelium gehört: „Wer mein Fleisch nicht isst und mein Blut nicht trinkt, kann das Leben nicht haben ... Mein Fleisch ist wahre Speise ..." (6,53.55) Als das Murren der Juden anhob, hätte der Widerspruch leicht gestillt werden können durch die Versicherung: Freunde, regt euch nicht auf; dies war nur eine bildliche Rede; die Speise bedeutet nur das Fleisch, ist es aber nicht! - Nichts davon im Evangelium. Jesus verzichtet auf solche Besänftigung, er sagt nur mit neuer Nachdringlichkeit, dass dies Brot leibhaftig gegessen werden muss. Er sagt, dass der Glaube an den menschgewordenen Gott einen leibhaftigen Gott glaubt und dass dieser Glaube zum wahren, erfüllten Glauben, zum Einswerden erst wird, wenn er selbst leibhaftig ist, wenn er sakramentales Geschehen ist, in dem der leibhaftige Herr unsere leibhaftige Existenz ergreift. Paulus vergleicht das Geschehen der heiligen Kommunion mit der leiblichen Vereinigung, die zwischen Mann und Frau geschieht, um die ganze Intensität und Wirklichkeit dieser Verschmelzung auszusagen. Er verweist zum Verständnis der Eucharistie auf das Wort der Schöpfungsgeschichte: „Die zwei (= Mann und Frau) werden ein Fleisch sein" (Gen 2,24). Er fügt hinzu: „Wer sich dem Herrn verbindet, wird ein Geist (das heißt: eine einzige neue Existenz aus dem Heiligen Geist) mit ihm sein" (1 Kor 6,16).

Wenn wir dies hören, erfahren wir zugleich schon etwas darüber, wie die Gegenwart Jesu Christi zu verstehen ist. Sie ist nicht etwas in sich Ruhendes, sondern sie ist eine Macht, die auf uns ausgreift, die uns aufnehmen, in sich hineinführen will.[2] Augustinus hat dies in seiner Kommunionfrömmigkeit tief verstanden. In der Zeit vor seiner Bekehrung, in seinem Ringen um die Leiblichkeit des Christlichen, die ihm vom platonischen Idealismus her ganz unzugänglich war, hatte er eine Art Vision, in der er eine Stimme hörte, die zu ihm sagte: „Ich bin das Brot der Starken, iss mich! Doch nicht du wirst mich in dich verwandeln, sondern ich werde dich in mich verwandeln.[3] Beim gewöhnlichen Essen ist es so, dass der Mensch der Stärkere ist. Er nimmt die Dinge auf und sie werden in ihn assimiliert, so dass sie Teil seiner eigenen Substanz werden. Sie werden in ihn umgewandelt und bauen seine leibliche Existenz auf. Aber im Zueinander mit Christus ist es umgekehrt; er ist die Mitte, er ist der Eigentliche. Wenn wir wahrhaft kommunizieren, heißt dies, dass wir aus uns herausgenommen werden, dass wir in ihn hineinassimiliert werden, dass wir eins werden mit ihm und durch ihn mit der Gemeinschaft der Brüder.

Damit sind wir nun schon hei unserer zweiten Frage angelangt: Geht das eigentlich, dass ein Leib sich so mitteilt, dass in vielen Hostien er ist, dass über die Orte und Zeiten hin immer dieser Leib da ist? Nun, wir müssen uns zunächst sicher bewusst machen, dass wir solches nie ganz verstehen werden, denn was hier geschieht, kommt aus der Welt Gottes und aus der Welt der Auferstehung heraus. Wir aber leben nicht in der Auferstehungswelt. Wir leben diesseits der Grenze des Todes. Wenn wir uns etwa ein Gebilde vorstellen würden, das nicht drei Dimensionen, Höhe, Breite, Länge hätte, sondern nur zwei, nur die Fläche, so könnte sich ein derartiges Wesen niemals die dritte Dimension vorstellen, einfach weil es sie nicht hat. Es könnte nur versuchen, hinauszudenken über seine Grenze, ohne dies andere je wirklich sich ausmalen, umfassend begreifen zu können. Gerade so steht es mit uns. Wir leben in der Todeswelt; wir können hinüberdenken in die Auferstehungswelt, Annäherungen versuchen. Aber sie bleibt das andere, das wir nie ganz begreifen. Dies liegt an der Grenze des Todes, in die wir eingeschlossen sind, innerhalb deren wir leben.

Aber Annäherungen können wir versuchen. Eine solche eröffnet sich, wenn wir bedenken, dass das Wort „Leib" - „Dies ist mein Leib`' - in der Sprache der Bibel nicht einfach den Körper im Gegensatz etwa zum Geist bedeutet. Leib bezeichnet in der Sprache der Bibel vielmehr die ganze Person, in der Leib und Geist untrennbar eins sind. „Dies ist mein Leib", das heißt also: Dies ist meine im Leib wesende ganze Person. Wie aber diese Person geartet ist , erfahren wir aus dem nächsten Wort: „Der für euch hingegeben wird." Das bedeutet: Diese Person ist: Sein-für-die-anderen. Sie ist in ihrem innersten Wesen das Sichausteilen. Deswegen aber, weil es um die Person geht und weil sie selbst von innen her das Offenstehen, das Sichgeben ist, kann sie ausgeteilt werden.

Ein wenig können wir das sogar von der Erfahrung unserer eigenen Leiblichkeit aus verstehen. Wenn wir darüber nachdenken, was der Leib für uns bedeutet, werden wir bemerken, dass er eine gewisse Gegensätzlichkeit in sich trägt. Einerseits ist der Leib die Grenze, die uns vom anderen abschließt. Wo dieser Leib ist, kann kein anderer sein. Wenn ich an dieser Stelle hin, bin ich nicht zugleich woanders. So ist der Leib die Grenze, die uns voneinander trennt; er bringt es deshalb mit sich, dass wir einander irgendwie fremd sind. Wir können nicht in den anderen hineinschauen; die Leibhaftigkeit verdeckt sein Inneres, er bleibt uns verborgen; ja, wir sind deshalb sogar uns selbst fremd. Wir sehen ja auch nicht in uns selbst, in unsere eigene Tiefe hinunter. Dies ist also das Eine: Der Leib ist Grenze, die uns undurchsichtig, undurchdringlich füreinander macht, die uns nebeneinander stellt und uns verwehrt, einander zuinnerst zu sehen und zu berühren. Aber zugleich gilt ein Zweites: Der Leib ist auch Brücke. Denn durch den Leib hindurch begegnen wir uns, durch ihn kommunizieren wir in der gemeinsamen Materie der Schöpfung; durch ihn sehen wir uns, fühlen wir uns, werden wir einander nahe. In der Gebärde des Leibes wird offenbar, wer und was der andere ist. In der Weise, wie er sieht, blickt, handelt, sich gibt, sehen wir uns; er führt uns zueinander hin: Er ist Grenze und Kommunion in einem. Deshalb kann man sich selbst, seine Leiblichkeit verschieden leben: Man kann sie leben mehr nach der Versperrung oder mehr nach der Kommunion hin. Man kann seine Leiblichkeit und in ihr sich selbst so sehr auf Verschließung zu, in die Richtung des Egoismus hinein leben, dass fast nur noch Grenze bleibt und kein Begegnen mit dem anderen mehr sich auftut. Dann geschieht das, was Albert Camus einmal als die tragische Situation der Menschen miteinander schildert: Es ist, wie wenn zwei Menschen durch die Glaswand einer Telefonzelle voneinander getrennt sind. Sie sehen sich, sind ganz nah und doch ist da diese Wand, die sie einander unerreichlich macht. Ja, sie scheint wie ein Milchglas, das uns nur Umrisse ahnen lässt. Der Mensch kann sich also auf „Körper" hin leben; er kann sich im Egoismus so verschließen, dass der Leib nur noch Trennung, Grenze ist, die jede Kommunion ausschließt, in der er niemandem mehr wirklich begegnet, niemand an sein verschlossenes Inneres rühren lässt. Aber Leibhaftigkeit kann auch umgekehrt gelebt werden: als Sich-öffnen, als Freiwerden des Menschen, der sich mitteilt. Wir alle wissen, dass es auch dieses gibt; dass wir über Grenzen hinweg inwendig aneinanderrühren, einander nahe sind. Was man die Telepathie nennt, ist nur ein äußerster Fall dessen, was es auf geringere Weise doch unter uns allen gibt: verborgenes Sich-Berühren von der Mitte her, auch in der Ferne Einander-nahe-Sein. Auferstehung heißt eigentlich ganz einfach, dass Leib als Grenze aufhört und dass das, was an ihm Kommunion ist, bleibt. Jesus konnte deshalb auferstehen, ist deshalb auferstanden, weil er als der Sohn und der am Kreuz Liebende ganz Austeilen seiner selbst geworden ist. Auferstandensein heißt: kommunikabel sein; es bedeutet: der Offene, der Sich-Verschenkende sein. Von daher können wir auch verstehen, dass Jesus in der von Johannes überlieferten Eucharistierede Eucharistie und Auferstehung zusammenbringt und dass die Väter sagen, die Eucharistie sei das Medikament der Unsterblichkeit.[4] Kommunizieren heißt: mit Jesus Christus in Kommunion eintreten; es bedeutet: durch ihn, der allein die Grenze überwinden konnte, ins Offene treten und so mit ihm, von ihm her selbst auferstehungsfähig werden.

Damit ergibt sich aber ein Nächstes. Was uns hier gegeben wird, ist nicht ein Stück Körper, nicht eine Sache, sondern es ist er selbst, der Auferstandene - die Person, die sich uns mitteilt in ihrer durch das Kreuz hindurchgegangenen Liebe. Dies bedeutet, dass kommunizieren immer ein persönlicher Vorgang ist. Es ist nie einfach ein gemeinschaftlicher Ritus, den wir abwickeln wie irgendwelche anderen gemeinschaftlichen Verrichtungen auch. Im Kommunizieren trete ich in den Herrn hinein, der sich mir kommuniziert. Sakramentale Kommunion muss daher immer auch geistliche Kommunion sein. Deswegen geht die Liturgie vor der Kommunion von dem liturgischen Wir in das Ich über.[5] Hier bin ich selbst gefordert. Hier muss ich aufbrechen, ich ihm entgegengehen, ihn anrufen. Die eucharistische Gemeinschaft der Kirche ist kein Kollektiv, in der Gemeinschaft dadurch erreicht wird, dass man auf den untersten Nenner heruntergeht, sondern sie wird eben dadurch Gemeinschaft, dass wir ganz wir selber sind. Sie beruht nicht auf dem Auslöschen des Ich, auf der Kollektivierung, sondern sie entsteht dadurch, dass wir wirklich mit unserem ganzen Ich selbst aufbrechen und in diese neue Gemeinschaft des Herrn hineintreten. Nur so ereignet sich etwas anderes als Kollektivität; nur so wächst wirkliches, an die Wurzel und in die Mitte und in die Höhe des Menschen reichendes Zueinander. Weil es so ist, gehört zur Kommunion vorab das persönliche Hintreten zu Christus, das Ich-Gebet; deshalb braucht sie hernach die Weile der Stille, in der wir ganz persönlich mit dem anwesenden Herrn sprechen. Wir haben dies vielleicht in den letzten Jahrzehnten alle zu sehr verlernt. Wir haben Gemeinde, Liturgie als Feier der Gemeinschaft neu entdeckt, und dies ist groß. Aber wir müssen auch neu entdecken, dass Gemeinschaft die Person verlangt. Wir müssen dieses stille Beten vor der Kommunion und das stille Einswerden mit dem Herrn, das uns-Aussetzen an ihn neu lernen.

Daraus ergibt sich ein Weiteres schließlich ganz von selbst. Was wir empfangen, ist - wir sagten es - Person. Diese Person aber ist der Herr Jesus Christus, Gott und Mensch zugleich. Die vergangene Kommunionfrömmigkeit früherer Jahrhunderte hat wahrscheinlich zu sehr des Menschen Jesus vergessen, zu sehr an Gott gedacht. Aber wir sind in der umgekehrten Gefahr, nur noch den Menschen Jesus zu sehen und vergessen dabei, dass wir in ihm, der sich uns leibhaftig schenkt, zugleich den lebendigen Gott anrühren. Weil es aber so ist, darum ist Kommunizieren immer zugleich auch Anbeten. Schon in jeder echten menschlichen Liebe steckt etwas von einem Sich-Beugen vor der gottgeschenkten Würde des anderen, der Ebenbild Gottes ist. Schon echte menschliche Liebe kann nicht bedeuten, dass wir den anderen vereinnahmen und besitzen: sie schließt ein, dass wir das Große, das Einmalige der nie einfach in Besitz zu nehmenden Person des anderen ehrfürchtig anerkennen, uns beugen und so einander eins werden. In dem Kommunizieren mit Jesus Christus erreicht dies eine neue Höhe, denn hier wird menschliche Partnerschaft notwendig überschritten. Das Wort vom Herrn als unserem „Partner" erklärt zwar manches, deckt aber noch mehr zu. Wir stehen ja nicht auf gleicher Ebene. Er ist der ganz andere, die Majestät des lebendigen Gottes tritt mit ihm auf uns zu. Mit ihm sich vereinigen heißt sich beugen und dadurch sich auftun für seine Größe. Das hat sich in jeder Zeit auch in der Kommunionfrömmigkeit ausgedrückt. Augustinus sagt einmal in einer Predigt zu seinen Kommunikanten: Niemand kann kommunizieren, ohne zuerst angebetet zu haben. Theodor von Mopsuestia, ein Zeitgenosse von ihm, der in Syrien wirkte, berichtet, dass jeder Kommunikant vor dem Nehmen der heiligen Gabe ein Wort der Anbetung sprach. Besonders ergreifend ist, was uns von den Mönchen in Cluny um das Jahr 1000 erzählt wird. Wenn sie zur Kommunion hintraten, zogen sie ihre Schuhe aus. Sie wussten, dass hier der brennende Dornbusch ist, dass das Geheimnis, vor dem Mose in die Knie sank, hier anwesend war.[6] Die Formen wechseln, aber was bleiben muss, ist der Geist der Anbetung, der erst wahres Heraustreten aus uns selbst, Kommunizieren, Freiwerden von uns und so Finden auch gerade der menschlichen Gemeinschaft bedeutet.

Kommen wir zu der dritten und letzten Frage: Ist die Lehre von der realen Gegenwart Christi in den eucharistischen Gaben nicht durch die Naturwissenschaft längst widerlegt, überholt? Hat die Kirche sich mit ihrem Substanzbegriff - sie redet ja von „Transsubstantiation" - nicht viel zu weit an eine im Grund primitive und überholte Wissenschaft gekettet, die heute keinen Stand mehr haben kann? Wissen wir denn nicht genau, wie die Materie zusammengesetzt ist: aus Atomen, und diese aus Elementarteilchen? Dass Brot keine Substanz ist und folglich auch schon alles Weitere nicht stimmen kann? Nun, solche Einwendungen sind im Letzten sehr oberflächlich. Wir können sie jetzt nicht im einzelnen bedenken und es ist auch gewiss nicht notwendig, dass immer jeder einzelne alles das mitbedenkt, was in der Kirche hier geistig gerungen worden ist. Wichtig ist nur, dass das Gerüst des Denkens steht, das uns dann hilft, den eigentlichen, von ihm gestützten Kern des Glaubens angstlos und heiter zu leben. Begnügen wir uns also mit ein paar Hinweisen. Ein erster: Mit dem Wort Substanz hat die Kirche gerade die Naivität weggenommen, die sich an das Greifbare und Messbare hält. Im zwölften Jahrhundert drohte das Geheimnis der Eucharistie zerrissen zu werden zwischen zwei Gruppierungen, die je auf ihre Weise seine Mitte verfehlten. Da waren die einen, die ganz erfüllt waren von dem Gedanken: Jesus ist wirklich da. Aber „Wirklichkeit", das war für sie nur das Körperliche. Folglich kamen sie zu dem Satz: In der Eucharistie kauen wir das Fleisch des Herrn; damit aber waren sie einem bösen Missverständnis erlegen. Denn Jesus ist auferstanden. Wir kauen nicht Fleisch, wie Menschenfresser es tun würden. Deswegen standen mit Recht andere gegen sie auf, die sich gegen solch primitiven „Realismus" wehrten. Aber auch sie waren dem gleichen Grundirrtum verfallen, nämlich nur das Materielle, das Greifbare, das Sichtbare für Wirklichkeit zu halten. Sie sagten: Weil Christus nicht in kaubarer Körperlichkeit da sein kann, kann Eucharistie nur Sinnbild Christi sein; kann das Brot den Leib nur bedeuten, aber nicht der Leib sein. In solchem Streit hat sich die Kirche dadurch geholfen, dass sie den Begriff von Wirklichkeit vertiefte. In einem schwierigen Ringen wurde die Erkenntnis aussagbar: „Wirklich" ist nicht bloß, was man messen kann. Wirklich sind nicht bloß die „Quanten", die quantitativen Dinge; die sind im Gegenteil immer nur Erscheinungen des verborgenen Geheimnisses des eigentlichen Seins. Hier aber, wo Christus begegnet, geht es um dies Eigentliche. Genau das wurde mit dem Wort „Substanz" ausgedrückt.[7] Nicht die Quanten sind gemeint, sondern der tiefe, der eigentliche Grund des Seins. Jesus ist nicht da wie ein Stück Fleisch, nicht im Bereich des Messbaren und Quantitativen. Wer so die Wirklichkeit anfasst, der täuscht sich über sie und damit über sich selbst. Damit aber lebt er verkehrt. Deswegen ist dies kein Streit unter Gelehrten, sondern es geht um uns selbst: Wie müssen wir zur Wirklichkeit stehen? Was ist „wirklich"? Wie müssen wir selbst sein, damit wir der Wahrheit entsprechen? Auf die Eucharistie hin wird uns gesagt: Die Substanz wird verwandelt, das heißt, der eigentliche Grund des Seins. Um ihn geht es und nicht um das Vordergründige, zu dem all das Messbare und Greifbare gehört. Mit dem so Bedachten sind wir zwar einen guten Schritt vorangekommen, aber noch nicht am Ende. Denn wir wissen nun zwar, was nicht gemeint ist, aber es bleibt die Frage: Wie ist es positiv aufzufassen? Wieder müssen ein paar Hinweise genügen, denn die Begrenzung unseres Blickfelds erlaubt uns nur, uns tastend zum Geheimnis vorzuwagen.

a) Ein Erstes. Was der Kirche immer wichtig war, ist dies, dass hier wirkliche Verwandlung geschieht. In der Eucharistie trägt sich wirklich etwas zu. Es wird Neues, was vorher nicht war. Das Wissen um Verwandlung gehört zu den Urgegebenheiten des eucharistischen Glaubens. Es kann daher auch nicht so sein, dass der Leib Christi zu dem Brot noch hinzutritt, als ob Brot und Leib Christi zwei gleichartige Dinge wären, die auf gleicher Weise als zwei „Substanzen" nebeneinander stehen können. Wenn der Leib Christi, das heißt Christus, der auferstanden-Leibhaftige, kommt, so ist er Größeres, Anderes, nicht in derselben Art wie das Brot. Es geschieht Verwandlung, die unsere Dinge durch Aufnahme in eine höhere Ordnung in ihrem eigenen Wesen trifft und ändert, auch wenn man das nicht messen kann. Wenn materielle Dinge als Nahrung in unseren Leib aufgenommen werden bzw. wenn überhaupt Materie Teil eines lebendigen Organismus wird, bleibt sie gleich und wird doch als Teil eines Neuen auch selbst verändert.[8] So Ähnliches geschieht auch hier. Der Herr bemächtigt sich des Brotes und des Weins, er hebt sie gleichsam aus den Angeln ihres gewöhnlichen Seins in eine neue Ordnung hinein; auch wenn sie rein physikalisch gleich bleiben, sind sie zutiefst Anderes geworden.

Das hat eine wichtige Konsequenz, die zugleich das Gemeinte selbst noch einmal deutlicher werden lässt: Wo Christus anwesend wurde, kann es hernach nicht sein, als ob nichts gewesen wäre. Dort, wohin er seine Hand gelegt hat, ist Neues geworden. Dies verweist wiederum darauf, dass Christsein als solches Verwandlung ist, dass es Bekehrung sein muss und nicht irgendeine Verzierung zum übrigen Leben hinzu. Es greift in die Tiefe hinein und lässt uns von der Tiefe her neu werden. Je mehr wir selbst als Christen von der Wurzel her neu werden, desto mehr können wir das Geheimnis von Verwandlung überhaupt verstehen. Schließlich lässt solche Verwandelbarkeit der Dinge uns inne werden, dass die Welt selbst verwandelbar ist, dass sie als Ganze einmal neues Jerusalem, Tempel, Gefäß der Anwesenheit Gottes sein wird.

b) Das Zweite ist dies: Was sich in der Eucharistie abspielt, ist objektives Geschehen an der Sache selbst und nicht bloß eine Vereinbarung, die wir unter uns vornehmen. Träfe das letztere zu, so wäre Eucharistie nur eine Vereinbarung unter uns; eine Fiktion, in der wir übereinkämen , „dies" als „etwas anderes" anzusehen. Dann wäre sie nur Spiel, nicht Wirklichkeit. Ihre Feier hätte nur den Charakter eines Spiels. Die Gaben würden nur zeitweise für kultische Zwecke „umfunktioniert'`. Demgegenüber gilt: Was hier geschieht, ist nicht „Umfunktionierung", sondern wirkliche Umwandlung; die Kirche nennt sie Umsubstantiierung. Wir berühren damit einen Streit, der in den sechziger Jahren viel Staub aufgewirbelt hat. Da wurde gesagt, man müsse Eucharistie etwa folgendermaßen verstehen: Stellen wir uns vor, wir hätten ein Stück Tuch, das nun zu einer Nationalfahne oder etwa zu einer Regimentsfahne gemacht wird. Als Tuch ist es sich gleich geblieben, aber weil dies Stück Tuch nun Sinnbild der Nation oder Sinnbild dieses Regiments geworden ist, muss ich davor die Kopfbedeckung abnehmen. Es ist nichts anderes, bedeutet aber etwas anderes. Später wird es in einem Museum verwahrt werden und die ganze Geschichte jener Zeit in sich tragen. Man nannte die so geschehene Veränderung des Tuches Transsignifikation, zu deutsch: Bedeutungsänderung, „Umfunktionierung". Nun, ein Stück weit kann uns ein solches Beispiel durchaus verstehen helfen, dass Hineinnahme in einen neuen Zusammenhang Veränderung bewirkt.[9] Aber das Beispiel reicht nicht zu. Was in der Eucharistie an Brot und Wein geschieht, geht viel tiefer; es ist mehr als Umfunktionierung. Eucharistie überschreitet den Raum des Funktionalen. Das ist ja die Not unserer Zeit, dass wir nur noch in Funktionen denken und leben, dass der Mensch selbst nach seinem Funktionswert eingestuft wird und dass wir alle nur noch Funktionen und Funktionäre sein können, wo das Sein geleugnet wird. Die Bedeutung der Eucharistie als Sakrament des Glaubens besteht eben darin, dass sie aus dem Funktionalen herausführt und den Grund der Wirklichkeit trifft. Die Welt der Eucharistie ist keine gespielte Welt; sie beruht nicht auf Abmachungen, die wir treffen und auch widerrufen können, sondern hier geht es um Wirklichkeit, um ihren tiefsten Grund. Dies ist der springende Punkt, wenn die Kirche bloße Umfunktionierung („Transsignifikation") als ungenügend ablehnt und auf „Umsubstantiierung" besteht: Die Eucharistie ist mehr Wirklichkeit als die Dinge, mit denen wir täglich umgehen. Hier ist die eigentliche Wirklichkeit. Hier ist der Maßstab, die Mitte; hier begegnen wir jener Wirklichkeit, von der aus wir alle andere Wirklichkeit messen lernen sollten.

c) Daraus ergibt sich ein Letztes. Wenn es so steht, das heißt, wenn Brot und Wein nicht von uns umfunktioniert werden, sondern durch das glaubende Beten der Kirche hindurch der Herr selbst handelt und Neues wirkt, dann bedeutet das, dass seine Gegenwart bleibt. Weil sie bleibt , darum beten wir den Herrn in der Hostie an. Dagegen gibt es manche Einwendungen. Es wird gesagt, das habe man doch im ersten Jahrtausend nicht getan. Darauf ist zunächst einfach zu sagen, dass die Kirche wächst und reift im Gang der Geschichte. Man muss hinzufügen, dass sie immer schon die heiligen Gestalten aufbewahrt hat, um sie zu den Kranken zu bringen . Solches Tun beruhte auf dem Wissen, dass die Gegenwart des Herrn bleibt. Deswegen hat sie die Gestalten immer schon mit heiliger Ehrfurcht umgeben. Ein zweiter Einwand lautet: Der Herr hat sich in Brot und Wein gegeben. Das sind Dinge zum Essen. Damit habe er doch deutlich genug gezeigt, was er damit will und was nicht. Brot ist nicht zum Anschauen, sondern zum Essen da, wurde demgemäß formuliert. Im Kern ist das richtig; auch das Konzil von Trient sagt so.[10] Aber erinnern wir uns zurück: Was heißt das: den Herrn empfangen? Dies ist nie nur ein leiblicher Vorgang, wie wenn ich ein Stück Brot esse. Dies kann deshalb nie nur das Geschehen eines Augenblicks sein. Christus empfangen heißt: auf ihn zugehen, ihn anbeten . Aus diesem Grund kann das Empfangen über den Moment der eucharistischen Feier hinausreichen, ja, muss es tun. Je mehr die Kirche in das eucharistische Geheimnis hineinwuchs, desto mehr hat sie begriffen, dass sie Kommunion nicht in den umgrenzten Minuten der Messe zu Ende feiern kann. Erst als so das Ewige Licht in den Kirchen entzündet wurde und neben dem Altar der Tabernakel aufgerichtet

wurde, war gleichsam die Knospe des Geheimnisses aufgesprungen und die Fülle des eucharistischen Geheimnisses von der Kirche angenommen. Immer ist der Herr da. Die Kirche ist nicht bloß ein Raum, in dem in der Frühe einmal etwas stattfindet, während er den Rest des Tages „funktionslos" leer bliebe. Im Kirchenraum ist immer „Kirche", weil immer der Herr sich schenkt, weil das eucharistische Geheimnis bleibt und weil wir im Zugehen darauf immerfort im Gottesdienst der ganzen glaubenden, betenden und liebenden Kirche eingeschlossen sind.

Wir alle wissen, welch ein Unterschied ist zwischen einer durchbeteten Kirche und einer solchen, die zum Museum geworden ist. Wir stehen heute sehr in Gefahr, dass unsere Kirchen Museen werden und dass es ihnen dann geht wie Museen: Wenn sie nicht verschlossen sind, werden sie ausgeraubt. Sie leben nicht mehr. Das Maß der Lebendigkeit der Kirche, das Maß ihrer inneren Offenheit wird sich darin zeigen, dass sie ihre Türen offen halten kann, weil sie durchbetete Kirche ist. Ich bitte Sie deshalb alle von Herzen, dass wir darauf einen neuen Anlauf nehmen. Entsinnen wir uns wieder dessen, dass Kirche immer lebt, dass in ihr immerfort der Herr auf uns zugeht. Die Eucharistie und ihre Gemeinschaft wird umso gefüllter sein, je mehr wir im stillen Beten vor der eucharistischen Gegenwart des Herrn uns selbst auf ihn bereiten und wahrhaft Kommunizierende werden. Solches Anbeten ist ja immer mehr als Reden mit Gott im allgemeinen. Dagegen könnte sich dann mit Recht der immer wieder zu hörende Einwand richten: Ich kann ja auch im Wald, in der freien Natur beten. Gewiss kann man das. Aber wenn es nur dies gäbe, dann läge die Initiative des Betens allein bei uns; dann wäre Gott ein Postulat unseres Denkens - ob er antwortet, antworten kann und will, bliebe offen. Eucharistie bedeutet: Gott hat geantwortet: Eucharistie ist Gott als Antwort, als antwortende Gegenwart. Nun liegt die Initiative des Gott-Mensch-Verhältnisses nicht mehr bei uns, sondern bei ihm, und so erst wird es wirklich ernst. Deshalb erreicht das Gebet im Raum der eucharistischen Anbetung eine völlig neue Ebene; erst jetzt ist es zweiseitig und so erst jetzt wirklicher Ernstfall. Ja, es ist nun nicht nur zweiseitig, sondern allumfassend: Wenn wir in der eucharistischen Gegenwart beten, sind wir nie allein. Dann betet immer die ganze eucharistiefeiernde Kirche mit. Dann beten wir im Raum der Erhörung, weil wir im Raum von Tod und Auferstehung beten, also dort, wo die eigentliche Bitte in all unseren Bitten erhört ist: die Bitte um die Überwindung des Todes; die Bitte um die Liebe, die stärker ist als der Tod.[11] In diesem Beten stehen wir nicht mehr vor einem erdachten Gott, sondern vor dem Gott, der sich uns wirklich gegeben hat; vor dem Gott, der Kommunion geworden ist für uns und der so uns selbst aus Grenze zu Kommunion befreit und zur Auferstehung führt. Solches Beten müssen wir neu suchen. Es sollte die Frucht der Fastenzeit sein, dass wir wieder betende Kirche und damit offene Kirche werden. Nur die betende Kirche ist offen. Nur sie lebt und lädt die Menschen ein; sie schenkt Gemeinschaft und den Raum der Stille zugleich. Aus allem Bedachten folgt von selbst noch eine abschließende Überlegung. Der Herr schenkt sich uns leibhaft. Deswegen muss auch ihm unsere leibhaftige Antwort entsprechen. Das bedeutet vor allem, dass Eucharistie über die Grenze des Kirchenraums hinausreichen muss, in die vielfältigen Formen des Dienstes am Menschen und an der Welt. Es bedeutet aber auch, dass auch unsere Frömmigkeit, unser Gebet den Ausdruck im Leib verlangt. Weil der Herr sich als Auferstandener im Leibe gibt, müssen wir mit Seele und Leib antworten. Alle geistigen Möglichkeiten unseres Leibes gehören notwendig zur Gestalt der Eucharistie: Singen, Reden, Schweigen, Sitzen, Stehen, Knien. Wir haben vielleicht früher das Singen und das Reden zu sehr vernachlässigt und ausschließlich nebeneinander geschwiegen. Heute sind wir umgekehrt in Gefahr, das Schweigen zu vergessen. Aber nur alles drei zusammen - Singen, Reden, Schweigen - ist die Antwort, in der die Fülle unseres geistigen Leibes sich auftut für den Herrn. Das gleiche gilt für die drei körperlichen Grundhaltungen: Sitzen, Stehen, Knien. Wiederum haben wir früher vielleicht das Stehen und zum Teil auch das Sitzen als Ausdruck entspannten Hörens zu sehr vergessen und sind zu ausschließlich gekniet; heute finden wir uns auch da in der umgekehrten Gefahr. Und doch ist auch hier der eigene Ausdruck aller drei Haltungen notwendig. Zur Liturgie gehört das sitzende, besinnliche Hineinhören in das Wort Gottes. Zu ihr gehört das Stehen als Ausdruck der Bereitschaft so wie Israel das Osterlamm stehend aß, um seine Bereitschaft zum Auszug unter der Führung des Wortes Gottes zu bekunden. Stehen ist darüber hinaus auch Ausdruck für den Sieg Jesu Christi: Am Ende eines Zweikampfes ist es der Sieger, der steht. Von da erhält es seine Bedeutung, dass Stephanus vor seinem Martyrium Christus zur Rechten Gottes stehen sieht (Apg 7,56). Unser Stehen beim Evangelium ist so über die Exodus-Geste hinaus, die wir mit Israel teilen, Stehen beim Auferstandenen, Bekenntnis zu seinem Sieg. Schließlich ist auch das Knien wesentlich: als die leibhaftige Gebärde der Anbetung, in der wir aufrecht, bereit, verfügbar bleiben, aber zugleich uns vor der Größe des lebendigen Gottes und seines Namens beugen. Jesus Christus selbst hat nach dem Bericht des heiligen Lukas die letzten Stunden vor seinem Leiden auf dem Ölberg kniend gebetet (Lk 22,41). Stephanus fiel auf die Knie, als er vor seinem Martyrium den Himmel offen und Christus stehen sah (Apg 7,60). Vor ihm, dem Stehenden, kniet er. Petrus hat kniend gebetet, um die Auferweckung der Tabita von Gott zu erflehen (Apg 9,40). Paulus hat nach seiner großen Abschiedsrede vor den Presbytern von Ephesus (vor seinem Weggang nach Jerusalem in die Gefangenschaft hinein) kniend zusammen mit ihnen gebetet (Apg 20,36). Am tiefsten führt der Christushymnus des Philipperbriefs (Phil 2,6-11), der die jesajanische Verheißung der weltweiten knienden Huldigung vor dem Gott Israels auf Jesus Christus überträgt: Er ist der „Name, in dem jedes Knie sich beugt im Himmel, auf der Erde und unter der Erde" (Phil 2,10). Aus diesem Text erfahren wir nicht nur die Tatsache, dass die Urkirche vor Jesus Christus kniete, sondern auch ihren Grund: Sie huldigt ihm - dem Gekreuzigten - damit öffentlich als dem Herrscher der Welt, in dem die Verheißung der Weltherrschaft des Israels-Gottes erfüllt ist. Sie bezeugt damit den Juden gegenüber ihren Glauben daran, dass Gesetz und Propheten von Jesus sprechen, wenn sie vom „Namen" Gottes handeln; sie hält damit dem Kaiserkult - dem totalen Anspruch der Politik gegenüber - an der neuen Weltherrschaft Jesu fest, die die politische Macht begrenzt. Sie drückt ihr ja zur Gottheit Jesu aus. Wir knien mit Jesus; wir knien mit seinen Zeugen - von Stephanus, Petrus und Paulus an - vor Jesus und dies ist ein Ausdruck des Glaubens, der ihm von Anfang an als sichtbares Zeugnis seines Gottes- und Christusverhältnisses in dieser Welt unerlässlich war. Solches Knien ist der leibhaftige Ausdruck unseres ja zur wirklichen Gegenwart Jesu Christi, der als Gott und Mensch, mit Leib und Seele, mit Fleisch und Blut unter uns anwesend ist.

Wo wäre ein Volk, dem seine Götter so nahe sind wie uns unser Gott ist?" Bitten wir den Herrn, dass er die Freude über seine Nähe neu in uns erweckt, dass er uns neu zu Anbetenden macht. Ohne Anbetung gibt es keine Verwandlung der Welt.

Quelle: zuerst veröffentlicht in: Joseph Kardinal Ratzinger, Eucharistie - Mitte der Kirche, München 1978, S. 49-66. 70 f.

entnommen aus: Joseph Kardinal Ratzinger, Gott ist uns nah, Augsburg 2001, S. 75-95


[1] Predigt des Erzbischofs von München und Freising, Joseph Cardinal Ratzinger, in seiner Titelkirche Santa Maria Consolatrice in Rom am 2.9.1979.

[2] Eindringlich zur Realpräsenz bei Paulus: E. Käsemann, Anliegen und Eigenart der paulinischen Abendmahlslehre, in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen 1 (Göttingen 1960) 11-34, 28 als Zusammenfassung der vorherigen Textanalyse: „Der Ausdruck ,Realpräsenz` trifft also, was immer gegen ihn eingewandt werden mag, genau die von Paulus gemeinte Sache." Zu Joh 6: H. Schlier, Johannes 6 und das johanneische Verständnis der Eucharistie, in: ders., Das Ende der Zeit (Freiburg 1971) 102-123.

[3] Augustinus, Confessiones VII 10,16.

[4] Ignatius von Antiochien, Eph 20,2.

[5] Vgl. dazu den schönen Beitrag von K. Lehmann, Persönliches Gebet in der Eucharistiefeier, in: Int. kath. Zeitschr. „Communio" 6 (1977) 401-406.

[6] Die Texte finden sich bei J. A. Jungmann, Missarum Sollemnia 11 467 f. 84

[7] Zur Transsubstantiation J. A. Sayes, La presencia real de Christo en la Eucharistia, BAC 386 (Madrid 1976); E. Schillebeeckx, Die eucharistische Gegenwart (Düsseldorf 1967); A. Gerken, Theologie der Eucharistie (München 1973); J. Betz, Eucharistie als zentrales Mysterium, in: J. Feiner / M. Löhrer, Mysterium salutis IV 2 (Einsiedeln 1973) 185-311, bes. 289-311; J. Wohlmuth, Realpräsenz und Transsubstantiation im Konzil von Trient, 2 Bde (Frankfurt 1975).

[8] Vgl. J. Monod, Zufall und Notwendigkeit. Philosophische Fragen der modernen Biologie (München 19735) 79-123.

[9] Zu den Theorien über Transfinalisation und Transsignifikation J. A. Sayes, a.a.O. 192-274; J. Wohlmuth, a.a .O., bes. 1 4-52 und 453-461; W. Beinert, Die Enzyklika „Mysterium Fidei" und neue Auffassungen über die Eucharistie, in: Theol. Quartalschr. 147 (1967) 159-177. Den Vergleich mit dem Fahnentuch hatte zuerst B. Wette (in: M. Schmaus, Aktuelle Fragen der Eucharistie [München 1960]) formuliert, aber in einer durchaus das Funktionale überschreitenden und aufs Ontologische zielenden Intention.

[10] Denzinger/Hünermann Nr. 643.

[11] Denselben Grundgedanken hatte ich bereits in der kleinen Broschüre: Sakramentale Begründung christlicher Existenz (Freising 1966) 26 f., darzustellen versucht. Der skizzenhafte Text, der vor dem Entstehen des nachkonziliaren Eucharistie-Streits verfasst war, hatte inzwischen zu dem Missverständnis geführt, ich wollte damit Realpräsenz und Anbetung leugnen. Ich hoffe, dass durch die hier gegebene Darstellung diesem Missverständnis der Boden entzogen ist.