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Der Mensch ist nie größer als dort, wo er niederkniet
Geistliche Einführung in den Weltjugendtag: „Wir sind gekommen, um
IHN anzubeten“ (vgl. Mt 2,2) von Joachim Kardinal Meisner, Erzbischof von Köln.
Köln (www.kath.net)
1. In Köln ist das ganze Jahr über Epiphanie, Erscheinung des Herrn, weil in unserem Dom der Dreikönigsschrein steht und die Hohe
Domkirche eigentlich als Haus für den Dreikönigsschrein erbaut worden ist. Die Heiligen Drei Könige sind die Vorbeter der Christenheit geworden
. Im Matthäusevangelium 2,11 heißt es ausdrücklich: „Da fielen sie nieder und huldigten ihm. Dann holten sie ihre Schätze hervor und brachten ihm: Gold, Weihrauch und Myrrhe als Gaben dar“.
Der Kölner Dom ist das meist besuchte Bauwerk, das die Bundesrepublik Deutschland kennt. Die Heiligen Drei Könige als Vorbeter
der Menschheit scheinen heute noch eine Faszination auszuüben, auch auf Touristen aller Religionen, aller Erdteile, aller Nationen.
Und darum ist es gut, dass zum Weltjugendtag im August 2005 ebenfalls junge Menschen aller Erdteile und Nationen nach Köln
kommen werden, um gleichsam von den Heiligen Drei Königen zu lernen, vor Christus nieder zu fallen und ihn anzubeten.
Der Heilige Vater hat über den Weltjugendtag ausdrücklich die Worte des Matthäusevangeliums geschrieben: „Wir sind gekommen,
um IHN anzubeten“. Epiphanie fordert uns auf, vor dem Geheimnis der Liebe Gottes, die alles Begreifen übersteigt, niederzuknien
und anzubeten. Dass Gott uns liebt, verstehen wir, aber dass er uns bis zur Krippe geliebt hat, das bestürzt uns. Vor der Krippe kann
das Menschenherz gleichsam über Gottes Liebe nur staunen und sprechen: „O himmlische Speise, wie hast du gehungert! O
lebendiger Brunnen, wie hast du gedürstet! O heißes Feuer, wie hast du gefroren! O ewige Freude, wie hast du getrauert! O
Frohlocken der Engel, wie hast du geweint! O unbewegliche Stärke, wie hast du gezittert! O klarster Glanz, wie bist du verdunkelt!
O ewige Freiheit, wie bist du gefangen! O stärkste Allmacht, wie bist du so arm! O göttliche Weisheit, wie bist du verschwiegen! O
unbegreifliche Hoheit, wie bist du so erniedrigt! O väterliches Wort, wie bist du so unmündig! O unendlicher Gott, wozu bist du gekommen! O Christus Jesus, wohin hat dich deine Liebe gebracht!“
Eine Liebe, die solche Widerstände überwindet und Gegensätze verbindet, ist nicht mehr Liebe von dieser Welt. Vor ihr gibt es nur
eine einzige würdige Haltung: die Haltung von Maria und Josef, die Haltung der Hirten von Bethlehem, die Haltung der drei Könige
aus dem Morgenland, die Haltung der christlichen Völker aller Zeiten. – Und das ist die Anbetung. Die Krippe von Bethlehem ist
daher: Aller Anbetung Mittelpunkt, aller Liebe Höhepunkt, aller Zeiten Wendepunkt und allen Heiles Ausgangspunkt. Dieser
Abgrund an Liebe, der hier sichtbar wird, diese Torheit eines Gottes, der Fleisch wird, verwirrt den menschlichen Verstand. „Alles,
nur das nicht!“, wird der Ungläubige sagen. Vor dieser Krippe befindet sich der Mensch an einer Wegkreuzung. Entweder nimmt er Gott und das Mysterium seiner Liebe an oder er verweigert sich ihm.
2. Wenn ein Mensch sich für Gott entscheidet, nimmt er auch sofort Teil am Mysterium Gottes. Gott steht unendlich hoch über den
Menschen. Seine Wege sind nicht unsere Wege, und sein Wesen umhüllt ein tiefes Geheimnis. Würde der Mensch Gott verstehen,
so würde Gott nicht mehr Gott sein oder der Mensch würde aufhören, Mensch zu sein. Denn „verstehen“ heißt: auf gleicher Stufe
stehen. Wenn der Mensch auf seinem Platz stehen will, muss er sich niederknien vor dem unendlich Größeren. Aber wenn er sich
Gott verweigert, wählt er das Absurde, das Chaos und das Inferno. Das Leben ist dann nichts anderes mehr als ein Blitzstrahl
zwischen einem Nichts und einem anderen Nichts. Niemals wird er das Absolute, das Seinsnotwendige, also Gott, erkennen, wenn
er bloß Relatives aneinander reiht oder Zufälliges mit Zufälligem multipliziert. Die Existenz der Welt, deren Teile verschwinden
können und die ihren Daseinsgrund nicht in sich selbst haben, nur durch die Nebeneinanderstellung aller ihrer Fragmente zu erklären,
heißt, sich für das Absurde zu entscheiden. Gott oder Nichts! Das Mysterium Gottes oder das Chaos! Wir haben keine andere Wahl: Um das Richtige klar zu erkennen, müssen wir uns vorerst niederknien.
3. Wenn beim Menschen das Bewusstsein der Gegenwart Gott schwindet, d.h. die Verbindung nach oben durchgeschnitten wird,
dann büßt er sein Bestes ein. Er wird nicht mehr in Ehrfurcht und Vertrauen vom Heiligen an sich betroffen. Solche Leute mögen in
zweit- und drittrangigen Dingen, vor allem in der Technik und Zivilisation, ganz tüchtig sein, aber sie werden nicht mehr beunruhigt
von den ewigen Fragen. Wer bin ich, woher komme ich und wohin gehe ich? – Ein großer Ausfall! Von dieser Unruhe hätten sie als
Menschen vor den anderen Geschöpfen ihren Vorzug, ihre Spannkraft und ihr hohes Bewusstsein, sodass sie nicht eingeebnet
werden könnten. So aber fällt bei ihnen die ganze obere Welt aus. Es wölbt sich kein Firmament mehr über sie. Sie sind wie in
abgedeckten Häusern. Dort wohnt das Grauen. Regionen mit solchen Wohnstätten der Menschen verlieren ihr kulturelles Niveau.
Solche Kulturwüsten schuf der Kommunismus. Man braucht nur Großstädte mit ihren Neubaugebieten in ehemals kommunistischen Gegenden zu besuchen.
4. Epiphanie ist in erster Linie ein Fest der Anbetung. So selten beten die Menschen wahrhaft an. Wenn sie beten, geschieht es
meistens, um zu betteln oder um sich bei Gott zu beklagen. Unser Gebet ist allzu oft eine Geste, die uns noch mehr auf uns selbst
zurück wirft und konzentriert, anstatt uns für Gott zu öffnen. Hätten wir das Vater-Unser erfunden, so hätten wir wohl die
Reihenfolge der Bitten umgekehrt und hätten so begonnen: „Vater unser, der du bist im Himmel, gib uns heute unser tägliches Brot
und erlöse und von dem Ãœbel“. Und dann hätten wir vielleicht gebeten, dass sein Wille geschehe und sein Reich zu uns komme.
Doch ganz sicher ist das nicht. Die erste Pflicht gegen Gott ist, ihn als den anzuerkennen, der er ist: als Gott, d. h. als unendlich,
ewig, unfassbar und ihn als überwältigend zu erkennen. Ein Mensch auf den Knien vor Gott ist etwas ganz Großes. Wer anbetet,
steht am richtigen Ort, hat Sinn für Proportion und Maß in der Wirklichkeit. Er bejaht, dass er nichts und Gott alles ist. Das ist lautere Wahrheit und Gerechtigkeit. Anbetung ist der Beginn jedes wahren Gebetes.
5. Wo der Mensch in Anbetung nicht mehr niederkniet, dort gerät er außerhalb der Augenhöhe Gottes, und dann schwindet Gott vor
seinem Angesicht, dann geht die Sonne unter, dann naht die große innere Kälte. „Du wirst niemals mehr beten, niemals mehr
anbeten, niemals mehr in endlosem Vertrauen ausruhen; du hast keinen fortwährenden Wächter und Freund für deine sieben
Einsamkeiten; du liebst ohne Ausblick auf ein Gebirge, das Schnee auf dem Haupte und Glut in seinem Herzen trägt. Es gibt keine
Vernunft in dem mehr, was geschieht, keine Liebe in dem, was dir geschehen wird.“ Das hat nicht irgendein frommer Mystiker
geschrieben, sondern der ehrlichste aller Gottlosen, Friedrich Nietzsche, in seinem Buch „Fröhliche Wissenschaft“. Und in einem
anderen fährt er mit Fragen fort: „Wer wärmt dich? Wer liebt dich noch?“ – Das ist die Hölle. Ich wiederhole es noch einmal, sie hat
nicht ein Christ an die Wand gemalt, sondern Friedrich Nietzsche, der Ehrlichste der Gottlosen. Wo aber der Mensch in der
Anbetung niederkniet, d.h. auf die Augenhöhe Gottes geht, dort wird er geadelt, und dort gewinnt er Niveau. Gottes Herrschaft
bedrückt nicht, sie erhöht die Niedrigen. Jeder, der zu ihm „Du“ sagen darf, muss bekennen: „Der Mächtige hat Großes an mir
getan“ (Lk 1,49). Dass du mich liebst, macht mich mir wert. Den Wert und die Größe des Menschen machen aus, dass er Gottes ist,
ja, dass Gott ihn liebt. Und wenn wir mit Gott auf Du und Du stehen, uns gleichsam auf Augenhöhe mit ihm befinden, sind wir nie
etwas, das man versklaven, ausbeuten oder wegwerfen darf. Dass Gott mich liebt, macht mich mir wert. Tatsächlich war es das
Christentum, welches die Sklaverei abschaffte und den Menschen als Person schätzen lehrte. Im „Du“ steckt Liebe. Und Liebe, wo
sie echt ist, ist nicht von dieser Welt; sie ist Gottes. Wohl gibt es auch unter Menschen ein „Du“ ohne „Du“ zu Gott. Aber es gibt
das nur durch eine glückliche Inkonsequenz. Inkonsequenz aber kann nie allgemein werden und ist nie ohne Schaden. Man wird hier
so schnell Mittel zum Zweck, Sklave für den Eigennutz und die Eigengier des anderen. Da braucht es die Sicherung an unserem großen „Du“, von dem wir in der Anbetung umfangen werden.
6. Man soll nicht allein anbeten. „Kommt!“, sagten die Hirten von Bethlehem zueinander, „Kommt, lasst uns den Herrn anbeten!“
Die Liturgie der Kirche wiederholt diese Einladung immer wieder. Die Heiligen Drei Könige kommen ebenfalls zu mehreren zur
Anbetung. Anbetung ist nicht nur der Vorgang des Einzelnen, sondern ganz besonders der Gemeinschaft. Wenn unsere Jugendlichen
nach Köln zum Weltjugendtag kommen, dann sollten sie in der Weise der Heiligen Drei Könige kommen, nämlich immer zu Dritt, d
.h. jeder muss sich nach zwei anderen umsehen und sie dann mitbringen. Gemeinsam sollen wir vor dem Herrn niederknien als
Gruppe, als Gemeinschaft, als Familie, um diese wunderbare Aufgabe zu erfüllen: Gott anzubeten. Die Stimmen, die im Gebet
ineinander verschmelzen, werden zu einem unüberhörbaren Gotteslob und machen die Betenden zu einer Urzelle der Kirche. Eine
Gemeinschaft, eine Gemeinde, die miteinander anbetet, hält zusammen und bleibt beisammen. Die Anbetung ist der Zement, der die
Glieder einer Gemeinde zusammen fügt. Sie erzeugt Verbundenheit, Treue, aufmerksame Liebe füreinander. Sie ermöglicht erst richtige und echte Gemeinschaft.
Ich kann mir wirklich nicht denken, dass ein Mensch von Format und Erfahrung an einen anderen Menschen, wer es auch immer sei
, restlos glauben, ganz auf ihn hoffen und ihn über alles lieben kann. Man vermag eigentlich den Nächsten nur zu lieben, wenn man
ihn durch Gott hindurch liebt. Nie genügt das „Du“ des Mannes ganz für die Frau, und nie genügt das „Du“ der Frau ganz für den
Mann, nie das „Du“ des Armen und Kranken ganz für den Arzt oder die Helferin, nie das „Du“ des Kindes ganz für den Erzieher.
Es braucht noch ein „Du“, zu dem man beten, ja das man anbeten kann! Du willst im Leben deine Gedanken und Lasten einmal
abschirren können. – Ohne Gott geht das nicht! Du willst, dass kein Opfer im Leben unbekannt, keine Sorge unverstanden, kein
Verlust vergeblich sei. – Ohne Gott geht das nicht! Du willst, dass eine verbessernde und richtende Hand über alle versäumte Liebe
und alle missbrauchte Liebe komme. – Ohne Gott geschieht das nicht! Du willst wissen, wozu letztlich jedes Leid, jeder Schmerz,
jeder Verzicht sinnvoll war. – Ohne Gott weißt du das nie! Weil aber Gott lebt und weil du ihm begegnest in der Anbetung, wirst du
es einmal wissen, auch wenn du es jetzt noch nicht weißt. Das genügt! Aber das ist auch erforderlich, damit unser Erdenleben
erträglich sei, wenigstens für denkende Menschen. So komme das Reich unseres großen „Du’s“, und kein anderes ist der Tenor
eines anbetenden Menschenherzens. Oder das bekannte Wort der Anbetung aus dem Munde des hl. Augustinus sagt dasselbe aus:
„Denn du, o Gott, hast unser Herz für dich erschaffen, und unruhig ist es, bis es ruht in dir“.
7. Die Heiligen Drei Könige sind die großen Vorbeter der Welt und der Kirche geworden. Und in ihrem Leben wird es deutlich:
Wenn Gott naht, ruft er in die Entscheidung. Sie brechen auf und folgen dem Stern und suchen ihn, bis sie ihn gefunden haben. So
gewaltig Gottes Nähe auch wirkt, Gott aber lähmt nicht. Im Gegenteil! Er macht wach und lebendig und frei. Das sehen wir bei
Maria in Nazareth bei der Verkündigung. Wie ist sie gegenüber dieser dramatischen Situation gleichsam über sich selbst in den
Himmel gewachsen? Sie ist nicht verwirrt und zerbrochen. Sie denkt nach und fragt noch, sie antwortet staunenswert. Sie
entscheidet damit das Heil der Welt. Nie ist ein Wort aus Menschenmund gekommen, das größer an Wirkung war. Gott lässt sein
Geschöpf auf seiner Lebensbahn um nichts Geringeres laufen als um sich selbst, als das höchste Gut. Es geht um alles. Wer wirklich
darum weiß, der holt weit aus. So wird der Mensch gerade vor Gott ermächtigt zu Entscheidungen. Die drei Weisen aus dem
Morgenland verlassen ihre Vergangenheit und brechen auf in die Zukunft Gottes, indem sie dann vor dem Herrn niederknien, um ihn
anzubeten und ihre Geschenke darzubringen. Gott will keine Geschobenen. Im Leben – zumal wo es um das wahre Leben geht –
kommt es nach Gott auf den Einzelnen an, nicht auf die Trends, nicht auf das, was gerade „in“ ist, nicht darauf, was alle sagen,
denken und tun. Es kommt auf den Willen des Einzelnen an, der ihn niederknien lässt. Sein Wille ist dann sein Glück. Es gilt im wahrsten Sinne des Wortes: „Des Menschen Wille ist sein Himmelreich“.
8. Man soll miteinander anbeten. Singen aber ist die höhere Form, die potenzierte Form der Anbetung. Darum ist wohl auch der
gemeinsame Gesang ein Gebot der Stunde. Das Singen gehört gerade zum Weihnachtsfest wie die Luft zum Vogel. Durch den
Gesang der Engel wurde den Hirten kundgetan, dass sich soeben etwas Unerhörtes zugetragen hat. Diesen Gesang hat sich die
Christenheit zu Eigen gemacht und von Jahrhunderten zu Jahrhunderten wiederholt: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf
Erden, den Menschen seiner Gnade“. Darum bemühen wir uns, einen die Herzen der Jugendlichen mit Gott und untereinander
verbindenden Song zum Weltjugendtag zu finden. Beim „Gloria in excelsis Deo“ muss ich immer an jene Frau denken, die uns
diesen herrlichen Gesang übermittelt hat. Wieso wissen wir eigentlich, dass die Geburt des Herrn mit diesen Worten begrüßt wurde?
Nicht die Hirten haben es den Evangelisten berichtet, denn sie kamen nie mit ihnen zusammen. Auch der heilige Josef war es nicht,
denn er war schon gestorben, als der Herr seine Apostel erwählte. Wie all das Wunderbare, das uns der Evangelist Lukas von den
Geschehnissen in Bethlehem berichtet, waren auch diese Worte im Herzen der Gottesmutter Maria aufbewahrt: „Maria aber
bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach“ (Lk 21,19). Das Gloria war der Gesang der Engel
und der heimliche Gesang Mariens, ehe es unser Gesang wurde. Von ihnen und von ihr müssen wir seine Freude und Herrlichkeit
wieder empfangen. Von den Heiligen Drei Königen sagt das Evangelium: „Sie gingen in das Haus und sahen das Kind und Maria,
seine Mutter; da fielen sie nieder und huldigten ihm“ (Mt 2,11). Das heißt doch, wir finden uns in der Anbetung Christi neben Maria
als Mitanbeterin und als Vorsängerin wieder. Singende Menschen sind immer glaubende Menschen. Wir müssen dafür sorgen, dass
unsere Gemeinschaften wieder singende Gemeinschaften werden und dadurch glaubende und deshalb anbetende. In der singenden
Anbetung erfährt der Mensch, dass „Friede auf Erden“ nur dann geschenkt wird, wenn Gott zuerst die „Ehre in der Höhe“ erwiesen
wird. Der Friede unter den Menschen wird aus der Ehre Gottes geboren, die man ihm zu singt. Die Ehre Gottes ist der Friede der
Menschen. Wenn wir uns in den Tagen des Weltjugendtreffens gemeinsam vor dem Herrn niederknien, der einer von uns geworden
ist, dann ist dies der unmittelbarste und der tiefste Ausdruck der Geschwisterlichkeit unter uns Menschen.
9. Die Anbetung lässt mich erkennen, dass Gott mich meint, als ob ich nur allein auf dieser Welt wäre. Die Globalisierung lässt im
Menschen das Bewusstsein der Masse wachsen, in der er sich nun als Stäubchen in einer unübersehbaren Massenexistenz erfährt.
Das Rettende in dieser Mentalität steckt in dem kleinen Wort „Du“, zumal wenn damit jenes große „Du“ gemeint ist, das wir Gott
nennen und vor dem wir niederknien, um es anzubeten. So ist es ja oft: Das Größte steckt im Kleinsten: die große Sprengkraft im
kleinen Atom, der große Gottmensch in der kleinen Hostie, die große Rettung in dem kleinen Wort „Du bist mein vielgeliebtes Kind,
an dem ich mein Wohlgefallen habe“. Dieses „Du“ dürfen wir in der Anbetung zu Gott sagen, seit die Jungfrau von Nazareth bei ihm
Gnade gefunden hat. Sie führt uns heran an Gott über uns und an die Einzelperson neben uns, also zum „Du“ und „Ich“. Gott
schlug den Vorhang zurück, der die Welt von ihm trennte, und er tritt höchstpersönlich in unseren Raum und in unsere Zeit hinein.
Er ging damals in der Verkündigung durch den Engel auf das erschreckte Mädchen von Nazareth zu, und jetzt wird deutlich, dass er
damit uns Menschen meint und gewinnt. Seitdem wagen wir in der Anbetung zu sprechen: „Du“, dieses einmalige „Du“ zu ihm. Was
seine Geburtsstunde in der Dreifaltigkeit hat, dieses „Du“, das darf nun auf Erden ertönen, seitdem er einer von uns geworden ist
und in der Anbetung unser „Du“ zu seinem „Du“ an den Vater werden lässt.
10. Es könnte uns für den Weltjugendtag kein besseres Leitwort gegeben werden als: „Wir sind gekommen, um IHN anzubeten“.
Wie damals die heiligen Drei aus dem Dunkel der Zeit in das Licht von Bethlehem getreten sind, so hoffen wir, dass im August 2005
viele junge Christen aus ihren Heimatländern mit all ihren Licht- und Schattenseiten zur Epiphanie des Herrn nach Köln kommen
werden. Sie werden von hier aus und – darum bete ich seit Jahren – größer, glücklicher und begnadet wieder wie die Heiligen Drei
Könige in ihre Länder zurückkehren. Der Mensch ist nie größer als dort, wo er niederkniet in der Anbetung, weil er nirgends Gott
ähnlicher ist als dort, wo er niederkniet und anbetet. Der Mensch ist nie weiter als dort, wo er niederkniet in der Anbetung, weil ihn
dabei der Atem Gottes trifft und bewegt. Und der Mensch ist nirgends erdnaher als dort, wo er niederkniet und anbetet, weil Gott
nicht nur den Menschen will, sondern auch die Erde, die nicht im Chaos enden soll, sondern im Kosmos seiner Herrlichkeit. „Gott
will die Erde“, sagt die große Theresia, „also sei kein Feigling unter euch!“
+ Joachim Kardinal Meisner Erzbischof von Köln
Köln, 7. Januar 2005
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