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Rahner

Kommt, lasset uns anbeten

Zur Begründung der eucharistischen Verehrung

Die Kirche hat eine Geschichte, die noch lange nicht zu Ende ist, die nur schwer oder gar nicht vorauskalkuliert werden kann und immer wieder Überraschungen bringt. Das gilt auch von der Frömmigkeit sowohl der Einzelnen in der Kirche als auch von der Kirche und ihren großen Gruppen. Es gibt also eine Frömmigkeitsgeschichte. Auch eine solche hat ihren immer neuen Wandel, der vom Geist Gottes gewirktes Neues bringt und auch immer unvermeidlich seine Gefahren hat.

Weil die Kirche Jesu Christi in diesem Wandel ihrer Geschichte im Allgemeinen und ihrer Frömmigkeit im Besonderen ihre Identität nicht verlieren darf und nicht verlieren wird unter dem Beistand des Geistes Gottes und Christi, bleibt in dieser Geschichte nicht nur durch allen Wandel hindurch ein bleibendes, selbes Wesen erhalten, sondern die Vergangenheit verschwindet nie so, dass sie Zukunft nichts mehr zu sagen hätte. In der weitergehenden Geschichte kann ein Altes wieder jung werden und die spätere Geschichte belehren und inspirieren. Es gibt darum, um eine neue Zukunft zu schaffen, auch eine Rückkehr zu den Quellen. Das so immer wieder neu lebendig werdende Alte geht nicht als eine unlebendige, tote Gegebenheit in die spätere Zeit ein, nicht als ein respektvoll bewahrtes Museumsstück, sondern bleibt, indem es sich lebendig in eine neue Zeit hineinentwickelt und so anders wird und doch sein altes Wesen bewahrt. Was so von der Kirche und ihrer Geschichte samt der Frömmigkeitsgeschichte im Allgemeinen gesagt wurde, gilt auch von der eucharistischen Frömmigkeit, von der Frömmigkeit, mit der die Stiftung Jesu im Abendmahl immer neu gefeiert werden muss. Von der Möglichkeit, Altes aus der eucharistischen Frömmigkeitsgeschichte neu lebendig werden zu lassen, solches Alte nicht einfach als Vergangenheit gleichgültig hinter sich zu lassen, sondern als neue Möglichkeit und Aufgabe der Zukunft zu sehen, soll in dieser kleinen Betrachtung die Rede sein.

Es lässt sich, wenn man das heutige Leben der Kirche in unseren Ländern vorurteilslos betrachtet, nicht leugnen, dass die eucharistische Frömmigkeit einen gewissen Schwund erfahren hat. Wird die stille Anbetung vor dem Tabernakel mit dem ewigen Licht noch so geübt wie früher? Wie viele Klöster mit einer »ewigen Anbetung« gibt es noch? Ist die Fronleichnams-Prozession nicht an vielen Orten entweder aufgegeben worden oder doch sehr reduziert? In wie vielen Kirchen braucht man heute noch eine Monstranz? Die Kniebeugung vor dem Allerheiligsten ist vielfach schon vergessen. Die vielen, die heute sich zum Gottesdienst versammeln, sitzen sofort auf den Bänken und warten gelangweilt bis zum Gottesdienstbeginn. Dass man zunächst einmal für ein paar Augenblicke hinknien und den in der Eucharistie gegenwärtigen Herrn anbeten könnte, das scheint sehr vielen nicht einmal als eine denkbare Möglichkeit in das Bewusstsein zu dringen. Der Kommunion-Empfang bei der Teilnahme am eucharistischen Gottesdienst ist mehr als früher für viele fast zur selbstverständlichen Gewohnheit ihrer Sonntagsfeier geworden, aber vielleicht doch oft zu sehr zur Selbstverständlichkeit und Gewohnheit. Die früher fast selbstverständliche Gewohnheit einer privaten Danksagung nach dem Kommunion-Empfang und dem Ende des gemeinsamen Gottesdienstes scheint mehr oder weniger vergessen zu sein. Es gibt gewiss keinen notwendigen Zusammenhang zwischen der sakramentalen Buße, der »Beichte«, und dem Kommunion-Empfang, so wie noch vor ein paar Jahrzehnten viele Christen sich diesen Zusammenhang als verpflichtend dachten. Aber steht die Verpflichtung zur sakramentalen Einzelbeichte nach schwerer Schuld vor dem Kommunion-Empfang dem durchschnittlichen Christen von heute deutlich genug im Bewusstsein? Solche Beobachtungen eines Schwundes in der eucharistischen Frömmigkeit könnte man noch erweitern. Was ist dazu zu sagen?

Es können hier und jetzt gewiss nicht alle früher durch Jahrhunderte selbstverständlich gewesene Äußerungen der eucharistischen Frömmigkeit bedacht und auf ihre Lebendigkeit auch in der Zukunft befragt werden. Manches daran wird sicher nicht überall eine Verheißung der Zukunft haben, so fromm es gewesen sein mag, und man, wenn man es früher selbst erlebt hat, ihm nachtrauern wird . Ich weiß nicht, ob jederzeit und überall in der Zukunft in jeder Kirche eine schöne Monstranz zum selbstverständlichen Schatz der Kirche gehören wird. Aber es gibt gewiss in der eucharistischen Frömmigkeit der Vergangenheit nicht weniges, was bleiben sollte, was auch in Zukunft einen Sinn hat, was nicht untergehen sollte, was zu der Vergangenheit gehört, die die Zukunft, soll sie groß sein, sich neu erwerben muss. Es soll hier nur eines davon genannt und etwas bedacht werden: Das stille Gebet des Einzelnen vor dem Tabernakel.

Gewiss kann man Gott überall im Geist und in der Wahrheit anbeten. Gewiss hört der ewige Gott das Gebet, das einer in der verschlossenen Einsamkeit seiner Kammer spricht. Gewiss sollte der Christ immer besser verstehen, Gott in allem zu finden, seinen Alltag zum Gottesdienst zu machen. Aber wenn man ehrlich ist, wird man zugeben müssen, dass derjenige, der immer und überall Gott liebend nahe ist, den gemeinsamen Gottesdienst, das ausdrückliche Gebet in der Kirche mit seinen Brüdern und Schwestern zusammen, die ausdrücklichen und leibhaftigen Vollzüge seiner Gottesnähe erst recht schätzen wird.

Ein solcher, der Gott immer und überall nahe sein will, wird gerade solche ausdrücklichen und leibhaftigen Vollzüge seiner Frömmigkeit als liebend geübte Höhepunkte seiner Gottverbundenheit schätzen. Er kennt keinen Gegensatz zwischen der dauernden Geweihtheit seines Alltags und den ausdrücklich gestalteten Weihestunden seines Lebens.

Solches gilt auch erst recht für die eucharistische Frömmigkeit. Es gehört zum christ-katholischen Glauben, dass Jesus Christus mit Gottheit und Menschheit unter den eucharistischen Gestalten wahrhaft gegenwärtig ist. Gewiss ist diese Gegenwart unter den Symbolen menschlicher Nahrung ausgerichtet auf den wirklichen Empfang und Genuss dieser eucharistischen Speise. Aber das ändert nichts daran, dass in dieser Speise Jesus Christus mit Gottheit und Menschheit nicht nur gegenwärtig ist, indem er empfangen wird, sondern zuvor gegenwärtig ist, damit er leibhaftig empfangen werden könne. Und darum kann der katholische Christ Jesus, das göttliche Unterpfand seines Heiles, unter diesen eucharistischen Zeichen anbeten. Solche Anbetung ist im Vergleich zum wirklichen Empfang des himmlischen Brotes zwar nicht der Höhepunkt des sakramentalen Geschehens, wohl aber eine legitime Konsequenz aus dem katholischen Glauben an die wahre Gegenwart des Herrn im Sakrament.

Diese Verehrung Jesu im Sakrament dürfte also nicht untergehen. Sie mag eine Geschichte haben aus fast nicht bemerkbaren Anfängen heraus. Aber in der Heilsgeschichte und in der Geschichte

der Kirche ist es nicht so, dass etwas schon einfach darum wieder schwinden dürfte, weil es fast unbemerkt begonnen hatte. Nein: Wir katholischen Christen wollen in Gemeinschaft und als Einzelne auf das Zeichen der Gegenwart dessen blicken, der uns geliebt hat und sich für uns dahingegeben hat. Es sollte für uns nicht fremd sein, auch einmal in privatem Gebet vor dem Herrn zu knien, der uns erlöst hat.

Vor vierzig fahren sah ich in Wien noch in der Elektrischen Leute sich bekreuzigen oder den Hut abnehmen, wenn die Straßenbahn an einer Kirche vorbeifuhr. Solches mag uns heute fremd geworden sein und zwar mit Recht, so dass auf Wiederbelebungsversuche solcher Äußerungen der Frömmigkeit verzichtet werden kann. Aber echte, private und gemeinsame Verehrung des Sakramentes des Altares, auch außerhalb des Kommunionempfangs, dürfte dennoch nicht untergehen. Man sollte sich selbst einmal prüfend fragen, ob einem diese heilige Tradition einer eucharistischen Frömmigkeit noch etwas zu sagen hat. Wir sind gefragt, ob wir dieser Überlieferung eine Zukunft geben wollen. Dieses Alte birgt einen Segen für die Zukunft in sich. Wir müssen ihn nur ergreifen.

Ich meine, es solle auch in der Zukunft der Kirche und zwar nicht nur in den seltensten Fällen so sein: Da kniet ein Christ allein und still in einer Kirche vor dem Heiligen Schrein, in dem das Brot des Lebens für seinen Empfang aufbewahrt wird. Dieser Christ weiß, dass Gott überall ist, mit seiner Macht und Liebe alles trägt, allem unsagbar nahe ist, die ganze Welt der Dom zu seiner ewigen Anbetung ist. Aber dieser Christ weiß auch, dass er selber noch lange nicht immer dem ihm immer nahe seienden Gott in anbetender Liebe nahe ist; er weiß, dass er selber immer noch Gottes Nähe suchen muss. Und er weiß, dass der in Allmacht und Liebe überall gegenwärtige Gott, weil wir ihm nicht immer nahe sind, sich selbst einzelne Orte und Wirklichkeiten geschaffen hat, die es uns, den in Raum und Zeit Gefangenen, leichter machen, seine Gegenwart zu ergreifen. - Jesus aber ist das Ereignis, in dem Gott unüberbietbar und unwiderruflich für den endlichen Menschen seine Heil schaffende Gegenwart gegeben hat. Und vor diesem leibhaftigen Jesus, wenn auch verhüllt unter sakramentalen Zeichen, kniet dieser Christ. In Jesus ist die unüberbietbare und endgültige Weltwerdung Gottes gegeben und diese meldet sich, gewissermaßen in der Phase der Rückführung der Welt in die Herrlichkeit Gottes, in diesem Sakrament an. Vor ihm kniet der Christ. Er schaut auf den, den sie durchbohrt haben, er ist dem ganz leibhaftig nahe, in dem Gott die Welt als seine eigene Wirklichkeit angenommen hat. Der betende Christ schweigt, er nimmt die stille Ruhe dieses Sakraments entgegen, er kann diesem sakramental gegenwärtigen Herrn seines Lebens dieses oder jenes Anliegen vortragen; aber letztlich will er durch diesen sakramental gegenwärtigen Jesus eben doch nur aufgenommen werden in die Wahrheit und Liebe Gottes, die sich schweigend von diesem sakramentalen Zeichen her ausbreitet.

Ich meine, wir dürfen auch heute und in Zukunft das, was so unsere christlichen Vorfahren geübt haben, nicht vergessen. Das ewige Licht unserer katholischen Kirchen lädt auch heute noch zum schweigenden Verweilen vor dem Geheimnis unserer Erlösung ein.

Karl Rahner

Dieser Aufsatz von Karl Rahner erschien erstmals in: Geist und Leben 54 (1981), 188-191.